Text und Grafik: H. Birkenheuer


7. Fakten zur Rekonstruktion

Als vorgeschobene Basis war das erste Feldlager in Novaesium nur als kurzlebiges Sommerlager angelegt, in dem die Besatzung in mitgebrachten Lederzelten kampierte. In den Wintermonaten war das Feldlager mit größter Wahrscheinlichkeit nicht besetzt. Mit der Wiederkehr der ersten Truppen im darauf folgenden Frühjahr, wurde die Lagerumwehrung wieder instand gesetzt. Wie oft das erste Lager in seiner ursprünglichen Ausführung beibehalten wurde ist unbekannt.

Das erste römische Feldlager an der Erftmündung
aus der augusteischen Zeit um 16/15 v. Chr.
Grafik: Heinz Birkenheuer





Innerhalb der Lagerumwehrung war Platz für 37 unterschiedliche große Insolae auf denen 8 auxiliare Cohors mit rund 3.500 Mann und 1.000 Pferde bzw. Mulis lagern konnten. Für eine ständige volle Besetzung gibt es keine Hinweise. Mit Sicherheit gab es ständige Veränderungen der Belegung bedingt durch Neuzugänge und Verlagerungen zu neu gegründeten Standorten.
Für eine authentische Darstellung des ersten römischen Feldlagers an der Erftmündung wurden nur wenige Hinweise am Standort gefunden. Es wurde ein Versuch unternommen eine Idealrekonstruktion zu wagen, wobei die Ausgrabungsbefunde und Daten von ähnlichen Feldlagern zum Vergleich genutzt wurden.
Der östliche Bereich der Lagerumwehrung
Die bisher gefundenen Reste des Doppelgraben-System


Die einzigen verwendbaren Beweise für das Bestehen des Lagers sind die gefundenen Teilstücke eines Doppelgrabensystems. Es gibt keine Hinweise auf eine Holz-Erde-Mauer ebenso wenig das Türme bestanden haben. Im Lagerinneren wurden keinerlei Spuren fester Gebäude gefunden.
Mit größter Wahrscheinlichkeit war das Lagerareal, mit einem Doppelgraben als Annäherungshindernis und mit einem aufgeworfenen Erdwall der mit Grassoden befestigt war. Auf dem Wall könnte eine aufgestecke und verflochtende Palisade als Brustwehr gedient haben. Für die erste Lagerumwehrung konnte nur Materialien verwendetet werden, die am Lagerplatz zur Verfügung standen.

Der röm. Historiker Hygin berichtet, dass röm. Feldlager von einem 120 Fuß breiten Sicherheitsbereich, bestehend aus einem Grabensystem, mit Lagerwall und einem Intervallum ( ein freier Bereich innerhalb der Lagerumwehrung ) bestand. Dieses System hatte sich über Jahrhunderte bewährt und bot Sicherheit vor feindlichen Brandpfeilen und Wurfgeschossen.
Reko-Teilbereich der Lagerumwehrung




Reko-Teilbereich der Lagerumwehrung unter Verwendung des Originalquerschnitt 25*) des Doppelgrabensystem des ersten Feldlagers an der Erftmündung.

Über den wirklichen Verlauf der kompletten Lagerumwehrung konnte nur spekuliert werden. Die vereinzelten Grabungsabschnitte aus dem östlichen Teil der archäologischen Erfassung wurden mit den Grabungsbefunden der später errichteten Lagerumwehrungen und den örtlichen Begebenheiten verglichen. Die Reste einer später errichteten Lagerumwehrung im Bereich des Sumpfgebiets bestärken die Annahme, dasss die westliche Lagerumwehrung bis hierhin reichte. Somit war es möglich unter Verwendung der gefundenen Teilbereiche eine mögliche komplette Lagerumwehrung zu rekonstruieren.

Grabungsabschnitte der Lager A - B - C - in der Garnison Novaesium





Die archäologisch erfassten Grabungsabschnitte der Lager - B und C - am Rande des Sumpfes, deutet darauf hin, dass hier schon immer eine Lagerumwehrung bestand. Eine Vervollständigung der Lagerumwehrung - A - bis zum Rande des sumpfigen Meertals, kann so angenommen werden.

Der archäologisch erfasste Verlauf der Lagerumwehrung - A - und die Ergänzung bis an das Sumpfgebiet ergeben eine mögliche polygone Lagerumwehrung von ca. 650 m Länge und einer größten Breite von 280 m.
Die ergänzte vollständige Lagerumwehrung ist vergleichbar mit den römischen Feldlagern in Beckinghausen und Annreppen. Diese beiden Feldlagern wurden ca. 10 Jahre später während der Germanenoffensive in unmittelbarer Nähe der Lippe errichtet.

Eine mögliche Lagerumwehrung

Grafik: Heinz Birkenheuer




Die Grafik zeigt den Verlauf des Lagerwalls mit den 3 vermuteten Lagereingängen.
Bei einer 650 Meter langen und 280 Meter breiten Anlage, stellte sich zwangsläufig die Frage, wie war dieses 14 ha große Lager von außen zugänglich. Die eine gefundene Unterbrechungen im Grabensystem erlaubte die Spekulation, dass auf der gegenüber liegenden Seite ein weiterer Eingang gewesen sein könnte. Die Vermutung wird dadurch erhärtet, dass an dieser Stelle eine natürliche Ausbuchtung sich als Hafenanlage anbot. Ein dritter Lagereingang müsste irgendwo im westlichen Bereich der Lagerumwehrung bestanden haben.

Römische Feldlagereingänge wurden je nach Gegebenheiten und mit den am Ort vorhandene Materialien ausgeführt. Für das kurzlebige Feldlager in Novaesium kamen somit nur zwei bekannte Bauformen von Lagereingängen in die engere Betrachtung. Die unterbrochenen Lagergräben deuten darauf hin, dass der Lagereingang eine aus Erde aufgeworfene Clavicular-Anlage gewesen sein könnte und somit die anderen Eingänge mit einer gleichen Eingangssicherung versehen waren.

Modell eines Clavicula-Lagereingangs

Modell und Foto: Heinz Birkenheuer

Bei einer Clavicula Anlage wird der Lagerwall in einem Bogen ins Lagerinnere gezogen. Ein Angreifer hat keine freie Sicht ins Lager und erwartet bei einem Sturmangriff massive Bedrängnis vom seitlichen Lagerwall.
Clavicula-Anlagen als Eingangssicherung wurden überwiegend ab der Regierungszeit des Kaisers Vespasianus ( 69 bis 79 n. Chr. ) nachgewiesen. Dies ist aber kein Beweis dafür, dass solche Lagereingänge nicht schon früher gebaut wurden. Nach dem letzten Stand der Römerforschung wurden aus der Zeit der Germanenoffensive ( 9 v. Chr. bis 13 n. Chr.) Clavicular-Anlagen in Kneblinghausen und am Ostlager-Haltern entdeckt.

Westlicher Lagereingang in Kneblinghausen

Einer der 4 gefundenen Clavicular Eingänge

Clavicula Lagereingang im Ostlager-Haltern


1997 begann man mit den archäologischen Grabungen am neu entdeckten Ostlager in Haltern. Im Verlauf der Grabungen wurde dann 2000 ein Clavicula Lagereingang entdeckt.

Das ein römisches Feldlager ein Intervallum hatte, darüber gibt es keinen Zweifel. Über eventuelle Lagerstraßen und Plätze innerhalb der Lagerumwehrung gab es keine einheitlichen Vorgaben sondern nur Empfehlungen.
Unter Zuhilfenahme römischer Publikationen und mittels Vergleichsdaten von freigelegten Feldlagern wurde eine mögliche Ausführung des Feldlagers in Novaesium nachvollzogen. Mit größter Wahrscheinlichkeit gab es zwischen den gegenüber liegenden Toranlagen eine Via Principalis – eine Hauptstraße -, an den die Lagerplätze der Offiziere lagen. Ein größeres Forum mit dem Lagerplatz des Standort-Kommandanten müsste im Zentrum der Anlage gewesen sein.

Eine grafische Darstellung des Intervallum mit Via Principalis und den Lagerplätzen der Offiziere.

Aus den politischen Ereignissen der damaligen Zeit kann man schließen, dass in den vorgerückten Feldlagen, 500 Mann starke gemischte Einheiten – bestehend aus Infanteristen und Kavalleristen – stationiert waren. Auch kann man davon ausgehen, dass eine Stammbelegung bestand und freie Plätze für mobile Einheiten bereitgehalten wurden.

Mögliche Aufteilung der Lagerfläche in Novaesium



Die grün angelegte Fläche 1 könnte der Lagerplatz einer gemischten Stammbesatzung sein.

Die Flächen 2, 4, 5 und 6 könnten die Insolae von 3 Infanterie-Cohors sein.

Die Flächen 3, 7 und 8 könnten die Insolae von 3 gemischten Cohors sein.

Es bleibt noch ausreichend Platz für Krankenbereich, Magazine und Werstattplätze.


Bei einer optimalen Ausrichtung der 500 Mann starken Einheiten innerhalb der Lagerumwehrung, könnten 37 Insolae für rund 3.500 Legionäre bestanden haben. Wieso Lagerplätze für 3.500 Mann. Die Erklärung besteht darin, dass in vorgeschobenen Grenzbereichen nur Hilfstruppen – Auxiliare – als kleine Operationseinheiten zu 500 Mann aus dem gesicherten Hinterland geschickt wurden. Solch eine auxiliare Einheit operierte unabhängig von der Stammlegion als eine Cohors unter dem Befehl eines römischen Praefekten. Acht solcher Cohors konnten auf ihren Insolae innerhalb des Lagerwalls in Novaesium lagern.




Eine mögliche komplette Lagerbelegung